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Musterdepot.de NewsLetter - 23.08.99
Thema dieser Ausgabe: Der Hype um Red Hat und der Linux-Boom
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In den letzten Tagen überschwemmen Push-Beiträge über Red Hat die
deutschen Brokerboards.
Dieser Bericht soll Unklarheiten beseitigen und als Diskussionsbasis
dienen.
## Report - Highlights:
+ Red Hat mit knapp 9 Mrd. DM Marktkapitalisierung überbewertet
+ Rückfallpotential bis auf Emissionskursniveau, Kurschancen bis auf
weiteres gering
+ Linux kann dem im Herbst erscheinenden direkten Konkurrenzprodukt
Windows 2000 in vielen Bereichen nicht das Wasser reichen
+ Euphorie um Linux-Wachstumsraten wird zu oft mit zukünftigen Gewinnen
von Red Hat gleichgesetzt ,
+ Trugschluss, da Linux Erfinder Linus Torvalds und nicht Red Hat die
Entwicklung von Linux bestimmen.
+ Umsatz von Red Hat blieb im vergangenen Quartal unter dem
Vorquartalswert, große Konkurrenten konnten dagegen zulegen
## Der Hype um Red Hat und der Linux-Boom
Red Hat ist neben SUSE der weltweit größte Linux-Distributor mit
Einnahmen von 5,18 Mio. DM im am 31.5.99 abgelaufenen Geschäftsquartal,
ein Quartal vorher waren es noch 6,5 Mio.DM. Der Verlust betrug dabei
3,9 Mio. DM. Am 11. August ging der Software- und Serviceanbieter an die
amerikanische Nasdaq mit einem Emissionspreis von 14$ und kletterte die
ersten Tage kontinuierlich um mehr als 500% auf über 90 $. Am Freitag
stand die Aktie auf 68,125$, was einem knapp 400%-igen Emissionserlös
und einer Marktkapitalisierung von 4,6 Mrd. $ entspricht. Die zur Zeit
noch größere, nürnberger Schwester SUSE GmbH nahm im selben Quartal gut
9 Mio. DM und damit mehr als im Vorquartal ein.
## Woher rührt der enorme Kursanstieg der Red Hat Aktie?
Zum einen auf das renommierte Emissionshaus Goldman Sachs im Rücken, zum
anderen auf der geringen Stückzahl von 6 Mio. emittierten Aktien (66,8
Mio. insgesamt) und nicht zuletzt auf der Hoffnung, Red Hat und Linux
könnten eine Art Microsoft - Windows Nachfolge antreten. Letzteres
scheint mir eine Mixtur aus Unwissenheit und enormen Optimismus zu sein.
Doch beginnen wir ganz von vorn.
## Was ist Linux und wodurch zeichnet es sich aus?
Linux ist ein echtes 32-Betriebssytem wie Windows NT 4.0 oder Windows
2000. Es betreibt heute schätzungsweise auf 8 Mio. Rechner. Die
Ur-Version wurde 1991 von Linus Torvalds, einem finnischen
Informatikstudenten, und Freunden in ihrer Freizeit programmiert und an
bestehende Hochleistungsbetriebssysteme der UNIX-Kategorie angelehnt.
Linux wurde von Anfang an unter die General Public License gestellt,
welche KOSTENLOSE Verfügbarkeit und den vollständigen Einblick in die
Betriebsysteminterna garantiert. Das Ideal eines freien und offenen
Linux sorgte dafür, dass es heute weltweit mehrere tausend, meist
freiwillige Entwickler dafür gibt. Technisch gesehen ist es inzwischen
ähnlich ausgereift wie die gestandenen Windowssysteme und übertrifft die
meisten in Sachen Leistung, Netzwerkfähigkeit und Flexibilität.
Schwächen zeigt Linux hingegen dort, wo es um benutzerfreundliche
Konfiguration und Verfügbarkeit von gestandenen Programmen wie Microsoft
Office oder Corel Draw geht. Doch schon eine Reihe von Softwarefirmen
wie Corel, Star Division und IBM/Lotus haben einige ihrer Produkte in
Linuxversionen entwickelt oder entwickeln sie gerade. Solche
Portierungen weisen meist noch eine höhere Fehlerhäufigkeit auf.
Kostenlose Produkte wie Star Office oder der Netscape Navigator werden
dann gleich mit den Distributionen von Firmen wie Red Hat vertrieben.
## Was ist eine Distribution?
Eine Distribution ist eine Zusammenstellung vom aktuellsten
Linux-Betriebssytemkern (Kernel) mitsamt allen verfügbaren
Gerätetreibern und einer Menge kostenloser Anwendungsprogramme. Der
Kernel ist dabei das Herz des Systems. Seine Weiterentwicklung
koordiniert Linus Torvalds und drei Kollegen. Eine Linux -Distribution
kennzeichnet sich im Gegensatz zu einer Windows-Betriebssystemlizenz
dadurch aus, dass sie den Käufer dazu berechtigt, Linux auf mehreren PCs
zu installieren und meist schon alle nötigen Programme für den
Durchschnittsanwender enthält. Was im Extremfall bedeutet, dass man
ganze Studentenwohnheime mit einer Distribution zum Preis 80-100 DM
anstatt von 400 MS Windows-Lizenzen versorgen kann. Würde also weltweit
nur Linux eingesetzt, so ergäbe dies vielleicht einen Jahresumsatz von
ein paar hundert Millionen DM, ein Klacks im Vergleich zu Windows und
Co. . Der größte Batzen dieser Summe würde für die Handbücher, die
mitgelieferten CDs, die Entwicklungs- und Webungskosten aufgewandt.
Summa Summarum bleibt also nicht viel für die erhofften
Milliarden-Moneten alias Microsoft. Erwähnt sei hier noch die
Möglichkeit, sich sein Linux individuell und kostenlos in Einzelteilen
aus dem Internet herunterzuladen, also ganz ohne Distribution à la Red
Hat auszukommen.
## Woher also kommt die Kursphantasie für diesen Wert?
Man erhofft sich Milliardenumsätze aus dem Support und Service-Bereich.
Red Hat besitzt Supportverträge mit fast allen großen amerikanischen
Hardwareherstellern wie Compaq, Intel, Dell oder IBM, was bedeutet, dass
diese ihre Systeme wahlweise mit vorinstallierten Red Hat Linux
Distributionen ausliefern und Red Hat dabei den Betriebssystem und
Software- Support übernimmt. Auch sind manche PC-Hersteller mit ein paar
Prozent an Red Hat investiert.Durch die Auslieferung direkt vom
PC-Hersteller gewinnt Linux den Status eines "richtigen"
Betriebssystems.
## Wo ist jetzt der Haken?
Der erste Haken ist die freie und kostenlose Verfügbarkeit von Linux.
Linux ist und wird in absehbarer Zeit frei über das Internet oder
Distributionen von Freunden verfügbar sein. Hier mangelt es also an der
Kommerzialisierbarkeit des Produkts.
Der Haken No. 2 ist die mangelnde Bereitschaft von Firmen, Linux in
ihren Betreiben einzusetzen, weil einfach zu viele Dinge für Linux noch
nicht verfügbar oder mit Linux machbar sind. Besonders die Umstellung
eines Windows-Netzwerkes auf ein Linux- Netzwerk gleicht einem totalen
Neuanfang. Die Anwendungen sind anders, die Benutzung ist verschieden
und mit der Übertragbarkeit von Microsoft Office Daten ist es auch nicht
weit her.
Ein weiterer Haken ist die Philosophie, die hinter Linux steckt. Da sehr
viele Programmierer aus idealistischen Gründen ihre Freizeit in die
Weiterentwicklung von Linux stecken, wäre ihnen eine Kommerzialisierung,
wie sie von Investoren in Red Hat angedacht wird, ein Dorn im Auge. Ab
einem gewissen Punkt springen sie ab oder, was noch viel schlimmer ist,
sie entwickeln Linux in eine andere Richtung weiter. Besonders wenn
Linus Torvalds nicht mehr mit der sich verstärkenden Kommerzialisierung
durch Red Hat und Co. einverstanden ist und sich von diesem Projekt
trennt, wird es noch mehr Standards als zu UNIX-Zeiten geben, als man
ein einheitliches Hochleistungsbetriebssystem für alle Rechner
entwickeln wollte. Heute gibt es mehr als zehn unterschiedliche
Derivate, alle irgendwie inkompatibel und Linux ist eines davon.Alleine
kann Red Hat ein solch gewaltiges Projekt, wie es Linux darstellt,
niemals weiterentwickeln, der Aufwand wäre einfach zu groß.
Der letzte Haken ist die Qualität der Microsoft-Betriebssysteme. Windows
98 kann das Linux Betriebssystem in Sachen Benutzerfreundlichkeit und
Spieletauglichkeit in den nächsten Jahren nicht den Rang ablaufen. An
das geballte Know How in Windows 2000 kommt es nicht heran. Auch das
Preisargument wird nur in den wenigsten Fällen im kommerziellen Bereich
den Ausschlag für Linux geben. Zu groß sind demgegenüber die
Umstellungs- und Umschulungskosten. Vom eingegangenen Risiko ganz zu
schweigen .
## Fazit:
Summa Summarum ist Linux also eine hoffnungsvolle Alternative zu den
Windowsvarianten - die Wachstumszahlen sprechen für sich. Dem Einsatz in
der Breite stehen noch einige Unzulänglichkeiten gegenüber, deren
Beseitigung teilweise noch Jahre dauern dürfte. Die prognostizierten
Gewinne aus der Supporttätigkeit beruhen auf der Annahme, dass Red Hat
sich mit seiner Linux-Distribution durchsetzen wird und dann auch
weltweit den Großteil des Service-Geschäfts übernehmen wird. Da aber
Linux im Gegensatz zu Windows komplett frei einsehbar ist, kann jeder
Experte solch eine Supporttätigkeit aufnehmen. Versuchte Red Hat dies
mit Tricks in seiner Distribution zu unterbinden, würde kein echter
Linux-Anhänger mehr Red Hat Kunde sein. Auch ist noch keineswegs sicher,
dass Red Hat das Rennen unter den Distributoren machen wird. In der
Linux Hochburg Deutschland wird noch die deutschsprachige SUSE
Distribution bevorzugt, im asiatischen Raum diejenige von Pacific High
Tech. Die aktuelle Marktkapitalisierung von 9 Mrd. DM steht in keinem
Verhältnis zur Zukunft der Firma. Es gibt einfach zu viele Konkurrenten,
Unsicherheiten und Unzulänglichkeiten, um jetzt schon Red Hat als "die"
Linuxfirma geschweige denn als möglichen Microsoft-Nachfolger zu
bezeichnen. Dennoch will ich Red-Hat Anhängern nicht alle Hoffnung
nehmen:
Sollte es Red Hat gelingen, die Entwicklungsgeschwindigkeit von Red Hat
Linux drastisch zu steigern, so könnte es sich letztlich als Ersatz für
die Vielfalt an Unix-Systemen etablieren und doch zu den erhofften
Kurssteigerungen führen, die Betonung liegt hier jedoch auf könnte.
Dies bedürfte aber eines Linuxmonopols, dass es aus oben genannten
Gründen nicht geben wird. Denn Linux gehört allen oder eben Linus
Torvalds, aber auf absehbare Zeit nicht Red Hat. Somit wird Red Hat
eben auch nicht die erhofften Profite aus Linux schlagen können.
Ende
Gruss
Vladislav
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