Zitiere Stefan Fricke
On Wednesday, 26. September 2001 02:23, Ratti wrote:
Natürlich gelten die Gesetze des Printdesigns auch für den Bildschirm.
Diese Gesetze sind aner nur eingeschränkt anwendbar, gerade aufgrung von
Nein, sie gelten eben so gut wie überhaupt nicht, weil sie von für Bildschirme völlig falschen Prämissen ausgehen. Vom Format über die technischen Möglichkeiten, die Art der Wahrnehmung bis hin zur notwendigen Organisation der Inhalte ist einfach alles anders. Ein paar Beispiele: Serifenschriften in Größen von 8-12 Punkten gelten beim Print-Design als gut lesbar und brauchbar für Fließtext. Am Bildschirm bei 75 dpi sind die einfach nur unscharf, unter 10 (Typographischen) Punkten kann man in der Regel gar nix lesen. Dafür wird die Zeilenbreite am Bildschirm schnell zu groß, und für sinnvolle Textwahrnehmung ist neben größerer Schrift auch meist mehr Durchschuß erforderlich. Kursivdruck ist auf dem Papier eine Hervorhebung, am Bildschirm für Schriften eine unscharfe, schwer lesbare Fläche. Blinken kann man auf Papier gar nicht, am Bildschirm ist dies im Allgemeinen nur eine Unsitte (aber in *Einzelfällen* möglicherweise sinnvoll verwendbar, um z.B. einen optischen Schwerpunkt zu setzen). Die Auswahl der Textattribute am Bildschirm ist wesentlich eingeschränkter - halbfett gibts z.B. gar nicht, man kann das aber evtl. mit geschickter Farbwahl kompensieren. Dafür bieten graphische Browser die Möglichkeit, den User seine Lieblings- Fließtextdarstellung wählen zu lassen, was eigentlich auch sinnvoll ist, denn er kann selbst am besten entscheiden, was für ihn bequem lesbar ist - das erhöht nebenbei die Chance, daß er einen Text auch wirklich liest. Die meisten Drucksachen werden im Hochformat gestaltet, das Format des Browserfensters kennt man nicht. Bei 1024x768 und 800x600 trifft man wahrscheinlich ein Querformat an, bei 1280x1024 (und das hab ich ebenso wie 1600x1200 durchaus schon bei "leitenden Angestellten" gesehen, so teuer sind 19"-CRT's nicht mehr und viele Laptops bieten heute mehr als 1024x768) oder gar 1600x1200 hingegen wird selten Fullscreen gearbeitet, meist hat das Fenster eher Hochformat. Bezieht man PDA's, Set-Top-Boxen und andere "exotische" Web-Clients mit ein, wirds noch schlimmer. Diese finden zunehmend Verbreitung. Die mögliche Auflösung ist am Bildschirm sehr niedrig, auf dem Papier vergleichsweise hoch. Das bedeutet, feine Details sind am Bildschirm nicht zu erkennen - hier muß man mehr großflächig und plakativ arbeiten. Beim Druck sinkt die effektive Auflösung mit der Anzahl der verwendeten Farbabstufungen durch die Rasterung ab, am Bildschirm hingegen nicht. Hingegen ist Farbe am Bildschirm billig zu haben, auf dem (Druck-)Papier hingegen relativ aufwendig und teuer. Dafür sind Bildschirme nie farbecht, häufig gibt es gar eine komplette Darstellung in Falschfarben. Auf dem Papier sieht immer alles so aus, wie es gedruckt wurde - Bildschirmgrafiken sieht jeder Betrachter in anderer Farbwirkung. Alleine der Unterschied z.B. zwischen 7600 und 9300K Farbtemeratur (kann man an vielen Monitoren durch Umschalten ausprobieren) hat massiven Einfluß auf die Stimmung, die eine Grafik vermittelt, und das ist nur ein Teil der möglichen Schwankungsbreite. Ebenso sieht es mit dem Kontrast aus - der Kontrast bei Drucksachen schwindet nur durch Ausbleichen der Farben im Lauf der Zeit, am Bildschirm ist der Unterschied z.B. zwischen einem Billig-CRT, einem guten LCD und einem älteren TFT enorm. Ein Blatt Papier reflektiert Umgebungslicht, ein CRT oder LCD hingegen leuchtet aktiv ins Auge des Betrachters. Dadurch ergibt sich eine ganz andere Wahrnehmung z.B. von Kontrasten. Große weiße Flächen am Bildschirm können blenden oder feine Konturen überstrahlen - auf Papier sind derartige Effekte minimal. Ein weißes Blatt Papier ist viel angenehmer anzuschauen als eine grellweiße Fläche auf einem (möglihcerweise noch sehr hell eingestellten) Monitor. Außerdem wirkt ein Stück Papier für sich alleine, eine Webseite immer im Kontext des Browserfensters mit seinen Bedienelementen, evtl. auch des Monitor-Rahmens. Ladezeit oder Dateigrößen spielen auf dem Papier faktisch keinerlei Rolle, im Web sind sie essentiell dafür, daß eine Seite überhaupt angesehen wird. Das gleiche gilt für Browser-Abhängigkeiten, Plugins und "aktive Inhalte". Eine Homepage mit mehr als 10 Sekunden Ladezeit vergrault IIRC nach diversen Studien bereits 1/3 bis die Hälfte der Besucher. Zeitungs- oder Zeitschriftenleser haben meist Zeit, sie sehen das Lesen eher als Entspannung oder Zeitvertreib. Websurfer hingegen habens in der Regel sehr eilig und sind kurz angebunden. Ein Plakat oder eine Werbebroschüre muß auffallen, weil sie den Betrachter anlocken soll. Ein Besucher einer Webseite muß nicht mehr angelockt werden, denn er ist bereits von sich aus gekommen. Er will schnell zum Ziel und z.B. nicht erst durch 5 Seiten Selbstbeweihräucherungs-Intro klicken, die ihn ohnehin nicht interessieren. Er muß auch nicht neugierig gemacht werden, denn wenn er das nicht schon wäre wäre er gar nicht da. Die Informationsmenge, die man auf einer Webseite wahrnehmbar unterbringen kann, beträgt nur einen Bruchteil von dem, was auf Papier überhaupt geht. Das Web erfordert durch die Möglichkeit der Verknüpfung mit Hyperlinks eine völlig andere Organisation der Informationen. Die klassische Inhaltsverzeichnis/Text/Glossar-Struktur des Papiers ist fürs Web sehr, sehr ungeeignet. Umgekehrt läßt sich eine mehrfach hierarchische und mit Querverweisen vernetzte Website-Struktur nur unhandlich aufs Papier bringen und dort vermitteln. Man zeige mir das Stück papier, auf dem eine Animation oder dynamische Inhalte zu sehen sind. Papier wird von links nach rechts und von oben nach unten wahrgenommen. Der Bildschirm im *Prinzip* auch, allerdings kann das durch optische Schwerpunkte (z.B. Animationen) geändert werden. Auf dem Papier ist man in dieser Hinsicht mit den Möglichkeiten sehr begrenzt. Das sind nur einige der wesentlichen Punkte (aber noch längst nicht alle). Sie belegen deutlich, daß die Gesetze des Papier-Layouts für den Bildschirm und insbesondere fürs Web eben so nicht gelten. Es gibt durchaus Regeln, aber eben andere. Übrigens sind die Aussagen von Ratti nach meinen Erfahrungen typisch für Leute, die aus dem Print-Bereich kommen. Anstatt sich das Web erstmal anzusehen, es *gründlich* kennenzulernen und auch die dahinterstehende Technologie zu begreifen glauben sie offensichtlich, man könnte es einfach in seinem Sinne verbiegen. Das ist mit Verlaub Unsinn, wie auch aus den Aussagen erfolgreicher Web-Autoren wie Stefan Münz zu entnehmen ist. Umgekehrt macht auch ein 10 Jahre erfahrener Web-Designer noch keinen Print-Designer. Der Print-Designer hat sich schließlich auch lange Zeit erstmal mit der zur Verfügung stehenden Technik, ihrer Wirkungsweise und ihren Möglichkeiten auseinandergesetzt. Zu glauben, man könnte hier - in der einen oder anderen Richtung - einfach die Methoden des einen Mediums auf das andere übertragen, ist ein Irrweg. Vielleicht vergleichbar mit der Idee, wer Radiosendungen gestalten könnte, wäre auch geeignet für die Konzeption von Fernsehsendungen oder Zeitungen. Nur daß auf die Idee kaum jemand mit etwas Hirn zwischen den Ohren käme. -- Erhard Schwenk http://www.fto.de - http://www.akkordeonjugend.de