Wolly Wicyrek schrieb am Freitag den 14. September 2001:
Ein paar Denkanstöße:
(Ein paar Verallgemeinerungen bitte ich zu verzeihen.)
- Wir auf dieser Liste sind unfähig, zu verstehen, was ein fundamentalistischer Attentäter denkt; wie seine Wertvostellungen sind und wie seine Vorstellungen von den Zusammenhängen sind.
Viele Menschen haben ein Problem damit oder scheuen sich davor, etwas zu verstehen, was sie nicht kennen. Frei nach dem Spruch "Was der Bauer nicht kennt, frißt er nicht.". Verstehen ist manchmal auch ganz viel Akzeptanz und diese Eigenschaft besitzen die wenigsten Leute (zumindest, die ich kenne).
- Für den mehr oder weniger atheistischen Christen ist die Macht der islamischen Religion (bzw. die daraus resultierenden Vorstellungen und Handlungsweisen) größtenteils nicht nachvollziehbar (z.T. selbst bei in Deutschland lebenden Moslems). Der Moslem denkt, für den Christen habe die Religion den selben hohen Stellenwert, wie für ihn - während der Christ denkt, die Religion sei doch im Endeffekt für den Moslem genauso nebensächlich wie für ihn (den Christ).
Eigentlich schreibe ich hier, weil Du immer wieder auf den christliche Glauben quasi gepocht hast. Ist er so viel besser? Wenn dann noch das Wort "Macht" ins Spiel kommt, kann ich nicht mehr an einen "Glauben" glauben. Ich bekenne mich zu keinem der von Dir genannten Glaubensrichtungen, obwohl ich fest an die von mir erfahrenen Grundsätze und auch an die daran knüpfenden, etwas spirituelleren Schlussfolgerungen glaube.
- Würde es irgendwo in den westlichen Industrienationen ein spontanes Strassenfest geben, wenn ein Anschlag in Mekka einige tausend unschuldige Moslems in den Tod reisst?
Ich mein, nicht. Wir sind zur Konsumgesellschaft verkommen, die nur noch das aufnimmt, was uns mundgerecht präsentiert wird. Einen Teil davon produziert die Medienwirtschaft.
- Der islamisch-fundamentalistische Attentäter ist nicht zwangsläuftg ein Moral-loser dummer, ungebildeter Arbeitsloser ohne Perspektive. Die Attentäter waren intelligent (Studium; Piloten), hatten u.a. Familien und lebten unauffällig. Es fragt sich: Waren sie religiös/..-indoktrinierte oder durschschnittliche Moslems.
Ich denke, sie leben wie Du und ich. Nur messen sie der Glaubensfrage und den vermeintlich ausgemachten Gegnern einen viel höheren Stellenwert bei. Auch das beruht nur auf Vermutungen, denn in meinem Bekanntenkreis befindet sich kein Moslem, der mir darüber Klarheit verschaffen könnte.
- Die Moslems finden es als religiöse Beleidigung (ja, `religiöse Beleidigung'), dass amerikanische Truppen in der Golfregion stationiert sind. Sogar die in Amerika lebenden Moslems! (US-Interview: `Ja, der Einsatz im Golf war OK, danach geht aber heim!')
Vielleicht hast Du es schon bemerkt: ich gehe nur davon aus, was ich selbst gesehen oder erlebt habe. Die medienpolitische Wirkung geht an mir (hoffentlich) noch vorbei. Erst das macht uns zu Menschen: Ich denke, also bin ich. Nicht "Ich lass mir was erzählen.". Daraus entstanden Sagen und Märchen.
- Amerikanische (christliche!) Soldaten sind auf islamisch-Saudi-Arabischen Boden; deshalb betrachten viele Moslems zwei der wichtigsten islamischen Heiligtümer (Mekka, Medina) als von dem Amerikanern besetzt. (Ja, das hört sich wie kompletter Blödsinn an, ist aber so!) Wer ein guter Mostem ist, verteidigt seine Heiligtümer.
Nimm den letzten Satz und vergleiche ihn mit dem "Tun" anderer Glaubensrichtungen.
- Noch dazu ist die zweitwichtigste islamische Stätte (Jerusalem) von den Israelis besetzt... (das stimmt schon eher...)
Meine Geburtsstätte, oder die letzten Einwohner meines Geburstortes und auch meine Urahnen, soweit ich das zurückverfolgen konnte, werden nicht mehr von mir oder meinesgleichen bewohnt. Führe ich jetzt einen unerbitterlichen Krieg?
- Wenn man den Dschihad (Religionskrieg) leben will, dann kann man zu Bin Laden gehen und sich ausbilden lassen... Es gibt _nicht_wenige_ Moslems, die das freiwillig tun (sie bekommen dafür nichts bezahlt; nein, den Dschihad zu leben ist scheinbar ein hohes Gut / moralisch Richtig / <insert your expression here> )
Woher beziehst Du diese Kenntnis? Geld ist die Macht, oben genannter hat dies reichlich und wird als Sponsor von eben diesen Terroristen hingestellt. Die Öffentlichkeit kennt nicht wenige Leute, die rein aus finanziellen und vorgeschobenen politisch, ideologischen Motiven von der einen Seite der Macht auf die andere gewechselt sind. Im Volksmund "Wendehals" genannt. Manchmal kommt mir das, was Du im ersten Satz schreibst vor, wie ein Buch, daß ich in der Schule lesen mußte: Der Untertan. Genau das gleiche Unterwürfigkeitsgefühl und damit Selbstbestätigung. Ist das erstrebenswert? Sind wir nicht eigentlich (eigentlich wollte ich in Klammern setzen) schon einen Schritt weiter?
- ``Die Amerikaner klauen den Arabern das Öl.'' (Das sagt sogar in London lebender islamischer Aktivist.) Nach einer Erklärung wurde im Interview leider nicht gefragt. Tatsache: Der Westen zahlt den Arabern ein Heiden-Geld für das Öl, aber 99% davon wird von <1% von ihnen sofort verprasst. Saudi-Arabien hat deshalb Schulden in dreistelliger Milliardenhöhe (!!)
Aktivist. Das Wort hat so einen Nachgeschmack, zumindest bei mir. Fakt ist, daß z.B. Kuweit aus genau diesen Einnahmen eine kostenlose Schulausbildung seiner Kinder finanziert. Wer in der Welt kann das sonst seinen Kindern bieten? Kostenlose Krankenversorgung. Wo gibt es das noch auf der Welt? Gut. Ich spreche hier nur von Kuweit.
- ``Die USA führen Krieg genen die Moslems.''
Wirklich?
- Die Äusserungen fanatischer Moslems über die USA (die USA und der Westen sind praktisch an allem schuld) klingen für mich oft wie die Äusserungen Hitlers an was die Juden alles schuld sein sollen.
Das klingt für mich auch schon wieder nach Information durch die Medien. Hast Du schon mal einen saudischen Scheich gefragt, was er macht, wenn keiner mehr sein Öl braucht? Wir alle sind sie Geldlieferanten.
- Aus der Geschichte kann man nur lernen, wenn man sie kennt. Wie viele Moslems kennen die Geschichte halbwegs unverdreht? Wie viele Christen? Wie viele Staatsoberhäupter?
Ich gebe zu, in Geschichte nicht so die große Leuchte zu sein, trotzdem maße ich mir an, über mein Schicksal selber zu bestimmen. Auch wenn es hätte besser kommen können. Aber, wer hat schon zu jeder Zeit Salomon bei sich zu Hause sitzen?
- Wer die Ereignisse in Israel und den Palästinensergebieten verfolgt, kommt zu dem Schluss, dass scheinbar keine der beiden Seiten den Frieden will.
Da gibts nur eins: ACK.
- Viele in Deutschland (evtl auch wo anders) lebende Moslems halten sich für `fundamentalistisch'. Damit meinen sie aber oft, dass sie nach den Fundamenten des Koran leben und das unterscheidet sich primär einmal von unserem Verständnis von `Fundamentalismus'. Trotzdem muss man sich bei der Diskussion mit hier lebenden Moslems auf Überaschungen gefasst machen. (Vorwiegend negative Überraschungen...)
Diese "Fundamente" finden nur im Kopf statt. In den Kopf hineingebracht werden sie durch Erziehung oder (krass) auch Konditionierung. Welche Fundamente wurden Dir mit auf den Weg gegeben? Nach welchen Grundätzen gestaltest Du Dein Leben? Haßt Du mich?
- In den ethnischen Säuberungen im Balkan vor wenigen Jahren sind weitaus mehr unschudlige Zivilisten umgekommen als in NY+DC. Wie viele Schweigeminuten war uns das wert?
Leider sind wir erst am Anfang, solche Machenschaften verfolgen zu können (siehe Milosevic). Auch hier kommen wieder die Medien (die ich, wie Du vielleicht schon weist, nicht unbedigt mag) ins Spiel. Eine Berichterstattung war warscheinlich überhaupt nicht möglich. Diesen Punkt möchte ich etwas ausführlicher unter die Lupe nehmen. Meinst Du, daß es irgend jemanden interssiert, daß, einundzwanzig, zweiundzwanzig, alle zwei Sekunden auf der Welt ein Kind verhungert? Es ist den Menschen einfach nicht bewußt. So hart wie es klingt: kann mein Empfinden dafür verantwortlich gemacht werden, daß ich für etwas keine Empfindungen habe, von dem ich nichts weis? Manche Leute mögen das als Ausrede ansehen und, ich habe leider keine Argumente dagegen als: Woher hätte ich das wissen sollen?
- Wenn Bin Laden erledigt wird, was bringt uns das? (Keine Anschläge mehr / einen Märtürer und die Identifizierung mit ihm / ... )
Ohne Identifizierung, die ich nicht verstanden habe: ACK.
- Wird der Anschlag die Einnahmen Bin Ladens aus amerikanischen Wohltätigkeits-Gesellschaften (Help a Moslem, give some money), [die einen Teil ihrer Einnahmen an Bin Laden abführen] erhöhen oder verkleinern? [Ist den Moslems durch den Anschlag geholfen?]
Das entzieht sich meiner Kenntnis. War der Klingelbeutel mehr oder weniger voll als die Kreuzritter ihre Siege kund taten?
- Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, innerhalb der nächsten Jahre eine B-Waffe in einer Grossstadt hochgehen zu sehen? Wie hoch ist diese Wahrscheinlichkeit, wenn man gezielte Deeskalation versucht?
Diese Gefahr schätze ich als sehr hoch ein. Leider muß man das so hinnehmen, da es wohl, wie bei den Attentaten in New York und Washington, keinerlei Vorwarnzeit gegeben hat. Wenn man allein an die der Öffentlichtkeit zugänglichen Informationen denkt, daß es Anti-Anti-Anti-Raketen gibt, die mit viel Geld sogar für den Weltraum ausgerüstet werden sollen, bezweifle ich, daß eine solche Aktion, auch unter Zuhilfenahme strengster Sicherheitsmaßnahmen verhindert werden hätte können. Einzigste Maßnahme war: die völlige Lahmlegung des Luftverkehrs. Eine Lösung ist das sicherlich nicht. Wie meinst Du den Satz mit "gezielte Deeskalation"?
- Das selbe mit A-Waffe... (klein, handlich, wirksam)
s.o.
- Nach ihrer Zeitrechnung befinden sich die Moslems gerade im Mittelalter. Wie hat sich der Westen im Mittelalter (und danach) verhalten? (Stichwort: Kreuzzüge, Indianer, ...) Der grosse Unterschied aber sind die zur Verfügung stehenden Waffen.
<sarksaktisch>Es können jetzt die mehr vorhandenen Menschen in gleicher Prozentzahl vernichtet werden.</sarkastisch> An den Grundprinzipien (oder den daraus ersonnenen) jeden Glaubens hat sich NICHTS geändert.
- Die religiösen Begründungen und Motivationen fanatischer Moslems haben mit den wahren Aussagen des Korans meist wenig bis gar nichts zu tun. Die Religion wird sozusagen missbraucht und fast keinem fällt es auf.
Da stimme ich Dir voll und ganz zu!
- Wie viele Probleme hätten wir nicht, wenn es weniger Menschen auf der Welt gäbe? (`It's all an overcrowding Problem' - ?)
Wir hätten die gleichen Probleme, so wie vielleicht vor tausend Jahren schon. Nur, wir wußten nichts davon... Gruß Jens PS: Ich stelle mich mit meiner Meinung auf keine Seite, weder der Moslems noch der Christen noch irgend einer andere Seite. Ich glaube an das, was ich selbst bin bereit zu glauben. Dafür brauche ich keine Kirche. Auch wenn es hoffnungslos klingt: Ich glaube an das Gute im Menschen. -- .. may the Tux be with you! #130250